Donnerstag, 13. November 2014

Hast du ein Problem, oder was? Wie kann man nur nicht essen wollen?!

... was soll man darauf antworten, wenn man seit bald zehn Jahren mit einer Magersucht und ständigen Depressionen zu tun hat? Ich werde heute einmal versuchen, zu erklären, warum eine Frau nicht essen kann, bzw. warum es so schwer ist, aus einer Magersucht wieder heraus zu kommen, wenn man einmal in ihr gefangen ist.

Als erstes einmal: Nein, ich finde Frauen, die nur wie ein Streichholzmännchen aussehen keineswegs schön. Es ist nicht mein Ziel, dünner zu werden, ich kann nicht einmal sagen, wie viele cm mein Bauch an Umfang hat... Es ist in den seltensten Fällen das moderne Magermodel-Bild in den Medien an einer Anorexie schuld, auch wenn ich nicht abstreite möchte, dass sich dieses Bild irgendwo in unseren Hirnzellen einbrennt und ein Quäntchen Selbstkritik hinzusteuert.

Aber der Auslöser, dass eine Frau nicht mehr essen kann, ist es wohl kaum. Meist ist die Magersucht genau, wie andere Süchte eine Flucht vor einem Problem, dass rein gar nichts mit dem Essen / der Figur / dem Gewicht zutun hat.
Denn: Durch diese Sucht wird der Alltag so sehr von der Krankheit bestimmt, dass man keinen Platz mehr für adere Gedanken oder Probleme hat. Also vielleicht ist es nur ein aberwitziger Weg, sich vor der Wahrheit zu verstecken, vor irgendetwas im Unterbewusstsein wegzulaufen?! Es kann auch ein Kampf gegen sich selber sein, den eine Frau ausübt, um nicht andere Menschen, die sie sehr verletzen ausgeliefert zu sein. Ein Versuch, die Selbstkontrolle zu bewahren, in einer Welt in der fast das ganze Leben fremdbestimmt ist. Ein Kampf gegen das eigene Ego, wenn man nicht mehr an sich selber glaubt. Wie beginnt eine solche Essstörung eigentlich?

Also bei mir war es eine sehr demütigende Erfahrung im Ballett. Ich wollte mit 13 Jahren hoch hinaus, wollte bei den besten Tänzern gelistet stehen, und war damals bereit, alles in meiner Macht stehende dafür zu tun. Was ich nicht planen oder irgendwie steuern konnte war allerdings, dass mein Körper damals beschlossen hatte, ein Frauenkörper zu werden. Ich bekam Arsch und Busen!!! Und wurde immer mehr von meinen Lehrern deswegen kritisiert. Und da begann ich gegen diesen "Feind" in mir zu kämpfen, es konnte doch einfach nicht sein, dass ich nicht das letzte Wort in diesem Gefecht haben sollte?! Leider war ich mir der Macht meines Körpers nicht bewusst. Und wurde immer unglücklicher, je mehr ich mich zu einer Frau zu entwickeln begann. Damals war es übrigens vor den Proben ein ernstes Thema, ob schon eine von uns Schülerinnen ihre Periode hätte. Denn spätestens mit dem Einsetzen von dieser hatte der Körper ein Zeichen seines Sieges gesetzt, denn "dünne Mädchen haben das Problem" nicht!". Ich weiß heute, wie bescheuert das klingt. Und kann es nicht begreifen, da mitgemacht zu haben. Aber wenn man in seinem Umfeld nie etwas anderes hört, als solche Einstellungen zum Frauenkörper, dann ist es fast unmöglich, ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln. Mit 16 war ich dann raus. Rausgeschmissen aus der Schule, eben wegen dem Körper, der sich nicht an die Regeln des Balletts hielt, und in meinen Augen damals: Wegen meinem Versagen.

Und wer nun meint, mit dem Ende der "Ballettkarriere" wäre das Problem mit dem Essen vom Tisch gefegt gewesen: Denkste. Da fing es erst so richtig an. Denn in der neuen Welt, die ich kennen lernte, außerhalb der Ballettschule, kam ich einfach nicht richtig an... Ich war immer der Außenseiter, diesmal, weil ich zu DÜNN war (...), zu sonderbar, zu verträumt. Und ich begann mit der Suche nach mir selbst, und hatte keine Ahnung, wo ich mit der Suche, für die bisher einfach keine Zeit gewesen war, beginnen sollte. Mein Selbstbild war hoffnungslos verzerrt, ich habe bis heute noch die Stimme meiner höhnisch lachenden Ballettlehrerin im Ohr, die mich auslachte, als ich einmal in ein Wurstbrot biss. Bei Lebensmitteln unterschied ich zwischen "guten" und "bösen" Nahrungsmitteln, und ich konnte alles nach Kalorien sortieren, was man so in einem Supermarkt findet...

Und dieses Denken prallte mit einer Welt zusammen, die unterschiedlicher nicht sein konnte: Mit der Bankenwelt, den Menschen dort, als ich nach dem Abitur eine Ausbildung zur Bankkauffrau antrat. Es gibt zwischen Bank und Ballett neben dem selben Buchstaben am Anfang des Wortes nur eine einzige Gemeinsamkeit: Den Ehrgeiz, ganz vorne zu sein, vom Chef GESEHEN zu werden, in der ersten Reihe zu tanzen. Leider bin ich alles andere als eine gute Bankkauffrau. Oder sagen wir: Das Beraten nach Richtlinien, das ist nicht mein Ding... Und ich krepierte an meinem Ehrgeiz und den Regeln in der Welt der Banken. Um wenigstens in irgendeinem Kampf als Sieger die Oberhand zu bewahren, setzte ich abermals alle meine Energie in den Kampf gegen meinen Körper. Und fing an, alles zu Dokumentieren, was ich aß, wie ich mich bewegte und wie viel ich wog.
Bis ich im Krankenhaus landete weil mein Herz anfing, unter dem enormen Eiweißmangel und dem Stress zu leiden...

Heute bin ich froh, dass es Menschen gab, die mich damals so gut beobachtet haben.
Ein Kollege zum Beispiel war sehr schnell hinter meinen Tick gekommen und hat auch dafür gesorgt, dass ich es den Ärzten erzählte.
Die Therapie von der Essstörung war lang. Ganze vier Monate stationär und bis heute ambulant.
Aber:
Seit der Schwangerschaft mit meiner bezaubernden Maus ist das Hirngespinst fort!!!

Nur leide ich nach wie vor enorm unter der Angst, zuzunehmen...

Aber auch das wird sich irgendwann sicher einpendeln:)

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